Schwere Hungersnot in Gebstedt

Das konkrete Datum ist willkürlich gewählt, weil sich die Katastrophe von 1770 bis 1772 hinzog und zum Ende eskalierte. Hintergrund der herrschenden Hungersnot waren zwei total verregnete Jahre von 1770 und 71. Oben im Banner ist eine Hungergedenkmünze 1770/71/72 zu sehen Sie stammt aus der Sammlung Brettauer in Wien. Ihre Inschriften lauten:“[VS] Nach allgemeinen Klag und Weinen. Wo nehmen W. Brod 1770-1771; [RS] Laest Gott die Gnaden Sonne scheinen. 1772.“

Das eigentliche Problem waren nicht nur die Ernteausfälle durch die hohe Feuchtigkeit und die fehlende Sonnenwärme, sondern vor allem der seuchenhafte Auftritt von Ergotismus (Mutterkornvergiftung, Antoniusfeuer). Diese Erkrankung wird durch das sog. Mutterkorn hervorgerufen, ein hochgiftiger Pilz, der mit einer Länge bis zu 5cm kornartig aus der Ähre wächst. Hauptsächlich ist Roggen davon betroffen, aber auch Weizen, Gerste, Hafer und Dinkel.

Während in relativ guten Jahren das Mutterkorn bei der Ernte herausgelesen wurde, so verblieb es in der Not oft beim Getreide und gelangte so in den Kreislauf der Nahrungsmittel.

Symptome bei Ergotismus sind

  • massive Verengung der Blutgefäße und dadurch Durchblutungsstörungen der Herzmuskeln, der Nieren und der Gliedmaßen,
  • die Störungen äußern sich durch Hautkribbeln bis hin zu Lähmungserscheinungen,
  • das kann sich steigern in dem Gliedmaßen schmerzvoll absterben,
  • akute Vergiftungen können durch Atem- oder Herzstillstand tödlich verlaufen.

Dabei ist zu Bedenken, dass im ausgehenden 18. Jhd. Roggen noch das alleinige Brotgetreide war, da der Anbau von Weizen erst zu Beginn des 19. Jhd. wirklich forciert wurde.

Das Auftreten von Mutterkorn im Getreide war zu dieser Zeit vor allem in Norddeutschland und Frankreich zu beobachten aber auch hier in Thüringen. Aus einigen Orten in Hessen-Darmstadt wird berichtet, dass der Anteil von Mutterkorn in der Ernte zum Teil bis zur Hälfte des geernteten Korns reichte.

Ergotismus war aber auch ein soziales Problem, da gerade die Ärmeren der Dorfgesellschaft darauf angewiesen waren, vom sog. Streukorn zu leben. D.h., beim Dreschen von Korn wird prinzipiell das Korn von der Ähre getrennt. Beim Dreschen von Mutterkorn verseuchtem Getreide fallen die Roggenkörner  relativ separat durch ihr höheres Gewicht, während die Mutterkörner mit dem Spreu und Stroh abtreiben. Zwischen dem Korn und dem Spreu gibt es einen kleinen Bereich, in dem sich leichtere Körner und Spreu sammelten, das sog. Streukorn. Dies war besonders mit Mutterkorn verseucht, aber als minderwertige Ernte für das einfache Landvolk oft Nahrungsgrundlage. Wurde nun dieses Streukorn gemahlen und zu Brot gebacken zeigten sich oft kurz nach dem Verzehr die ersten Symptome der Vergiftung.

Quellen:

Die Auswirkungen der Hungerjahre 1770 -72 auf die letzte Großepedimie der Mutterkornseuche und die damals und in der Folgezeit veranlaßten Gegenmaßnahmen, Karl Bönig, München,
Nachrichtenblatt des Deutschen Pflanzenschutzdienstes (Braunschweig,) 24, 1972, S. 122-127

Informationen von Prof. Dr. Uwe Schirmer, Historisches Institut an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena


Bildquelle Hungernotmünze: vgl. K. Bönig a.a.O.

Bildquelle Mutterkorn: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mutterkorn_090719.jpg, Autor: R. Altenkamp, Berlin, 19.07.2009
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